Expressionismus,
das war in Deutschland eine kulturrevolutionäre Bewegung, die zwischen
1910 und 1925 alle Künste zugleich und in wechselseitiger Abhängigkeit
erfaßte: nicht nur die Literatur, sondern auch die Architektur,
die Schauspielkunst, den Tanz, die Musik und den Film. Der Begriff
"Expressionismus" tauchte 1911 auf und meinte zunächst die damals
neueste Kunst aus Frankreich.
Doch wenig später übertrug man den Begriff auch auf die jüngsten
Entwicklungen in der deutschen Kunst: auf die Werke der 1905 in
Dresden ge-gründeten Künstlergemeinschaft "Brücke" und der 1911
ins Leben gerufenen Gruppe "Der Blaue Reiter".
Schon
1911 weitete Kurt Hiller die Bedeutung des Begriffs auf die jüngste
Literatur aus. "Expressionisten" nannte er die Mitglieder des im
März 1909 in Berlin gegründeten "Neuen Club" und des aus ihm 1911
hervorgegangenen "Neo-pathetischen Kabaretts". Die Gruppierung,
der u.a. Ernst Blass, Jakob van Hoddis und Georg Heym angehörten,
gilt als literarische Keimzelle der Bewegung.
Fast
die Hälfte der expressionistischen Autoren war jüdischer Herkunft.
In ihrem Künstler- und Judentum zugleich verstanden sich die Expressionisten
als gesellschaftliche Außenseiter. Wie ihre literarischen Figuren
standen sie außerhalb der bürgerlichen Ordnung, rebellierten betont
jugendlich gegen die Welt der Väter und alle Repräsentanten des
patriarchalischen Systems. Der kulturrevolutionäre Elan des Expressionismus
verband sich mit der Vorstellung, daß der Weg in eine bessere Zukunft
durch individuelle oder kollektive Katastrophen führt.
Deshalb
wurde der im August 1914 beginnende Krieg von vielen Expressionisten
als Aufbruch und Neuanfang begrüßt. Diese Kriegsbegeisterung schlug
jedoch bei den meisten Künstlern schon nach wenigen Tagen oder Monaten
um in eine des-illusionierte Ernüchterung und ein pazifistisches
Engagement internationalen Zuschnitts. Diese Wende kam nicht zuletzt
aufgrund der zahlreichen Kriegs-opfer aus den eigenen Reihen: Alfred
Lichtenstein, Franz Marc, Ernst Stadler, August Stramm und Georg
Trakl.
Die
Modernität des Expressionismus zeigte sich in einer charakteristischen
Spannung zu den gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen der
damaligen Zeit. Die expressionistische Literatur nahm die Industrialisierung
und Verstädterung, die Technisierung, die Verwissenschaftlichung
und Bürokratisierung der Lebenswelt sowie die Expansion der Massenkommunikation
und die Entwicklung der technischen Medien in sich auf. Doch
begegnete sie diesen Prozessen gleichzeitig mit großer Skepsis.
Die
expressionistische
Literatur radikalisierte
die antiklassischen
Tendenzen der
frühen Moderne.
Sie ist eine
Literatur der
Disharmonien,
des Häßlichen,
Grotesken und
Pathologischen,
einer krisenhaft
zerrissenen
Welt, eines
dissoziierten
Ichs und einer
brüchig gewordenen
Sprachordnung.
Mit der Gründung
der Weimarer
Republik verlor
der expres-sionistische
Geist der Utopie
an Wirkungskraft,
und auch auf
literarischer
Ebene setzten
sich nun der
Dadaismus und
später die
Neue Sachlichkeit
durch.
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Ausführliche
Einführung
von Thomas
Anz hier
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