So wenig wie
das Jahr der Machtübernahme Hitlers bedeutete das Jahr der
deutschen Kapitulation einen vollkommenen Bruch in der deutschen
Literaturgeschichte. Eine "Stunde
Null", in der die Literatur völlig neu ansetzte,
gab es 1945 nicht, auch wenn manche Zeitgenossen die Forderung nach
einem "Kahlschlag"
erhoben und jüngere Autoren wie Wolfgang Weyrauch, Günter
Eich (exemplarisch mit dem Gedicht Inventur), Wolfdietrich
Schnurre, Wolfgang Borchert oder Heinrich Böll
damit ernst zu machen schienen. Zeitlich parallel und in programmatischer
Nähe zum italienischen "Neorealismus" der
Nachkriegsjahre, der u.a. von Elio Vittorini (Dennoch Menschen,
1945) oder Carlo Levi (Christus kam nur bis Eboli, 1945)
vertreten wurde, versuchte in Deutschland die "Trümmerliteratur"
mit Postulaten wie "zerschlagt eure Lieder / verbrennt eure
Verse / sagt nackt / was ihr müßt" (Schnurre)
in Opposition zum falschen Pathos und zur propagandistischen Verlogenheit
nationalsozialistischer Ideologie Elemente der Kriegs- und Nachkriegsrealität
ohne Beschönigung und poetische Stilisierung zu thematisieren:
Zerstörung, Tod, Gefangenschaft, Heimkehr, Hunger und den Kampf
ums Überleben. Wolfgang Borcherts an das expressionistische
Stationendrama anknüpfende Theaterstück Draußen
vor der Tür über den Kriegsheimkehrer Beckmann, der
im Unterschied zu der ihn zurückweisenden Nachkriegsgesellschaft
die Vergangenheit nicht vergessen kann, entsprach mit seinem expressiven
Pathos den Forderungen nach einem nüchternen Realismus nur
zum Teil.
Im Bereich der Westzonen und der späteren Bundesrepublik waren
es jedoch zunächst die Autoren der "Inneren Emigration",
die sich durchzusetzen vermochten: Hans Carossa, Frank
Thieß, Georg Britting oder Werner Bergengruen.
Gottfried Benn erlebte in den fünfziger Jahren eine
triumphale Wiederkehr. Den Exildichtern begegnete man hingegen mit
starken Vorbehalten, nur Hermann Hesse und Thomas Mann,
der nach 1945 sein Altershauptwerk Doktor Faustus (1947) und die
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1954) vorlegte, fanden
respektvolle Aufmerksamkeit. Alfred Döblin hingegen,
der gleich nach Kriegsende als einer der ersten Emigranten fluchtartig
in die Heimat zurückgekehrt war, konnte in Deutschland nicht
wieder Fuß fassen und siedelte 1953 erneut nach Paris über.
Sein letzter großer Roman Hamlet oder die Nacht nimmt ein
Ende, die Geschichte eines verkrüppelten
Kriegsteilnehmers, der im Elternhaus in einem gleichsam psychoanalytischen
Heilprozeß des Geschichtenerzählens eine dunkle Dramatik
von Vater-Mutter-Sohn-Konflikten erhellen kann, erschien 1956 bezeichnenderweise
in Ost-Berlin. Ein Autor wie Bertolt Brecht, der in der DDR
die Möglichkeit hatte, in theaterpraktischer Arbeit seine Vorstellungen
vom "epischen Theater" zu realisieren, dort 1949
seine theatertheoretische Hauptschrift Kleines Organon für
das Theater veröffentlichte und 1953 in kritischer Auseinandersetzung
mit den Ereignissen des 17. Juni seine Buckower Elegien schrieb,
stieß in der Bundesrepublik auf eine geradezu hysterische,
aus dem Klima des Kalten Krieges herrührende Ablehnung. Die
Exilliteratur, die zwischen 1933 und 1945 ein anderes, besseres
Deutschland repräsentiert hatte, wurde ansonsten im Westen
bis in die sechziger Jahre hinein kaum zur Kenntnis genommen, in
der sowjetisch besetzten Zone bzw. der späteren DDR, die sich
durch einen entschiedenen Antifaschismus zu legitimieren versuchte,
jedoch regelrecht hofiert. Zahlreiche Emigranten wählten daher
die DDR als neue Heimat, neben Brecht u.a. Anna Seghers,
Arnold Zweig oder Johannes R. Becher. Ricarda Huch,
Theodor Plivier und etliche andere wanderten indes schon
in den ersten Nachkriegsjahren in den Westen ab - abgeschreckt durch
die stalinistische Politik der SED und die Doktrin des "Sozialistischen
Realismus", in dessen Namen der "Dekadenz" und
dem "Formalismus" der literarischen Moderne der Kampf
angesagt wurde.
Die Literaturgeschichte im geteilten Deutschland hat in vieler Hinsicht
Modellcharakter für weltliterarische Entwicklungen, die über
Jahrzehnte hinweg im Zeichen des Kalten Krieges zwischen kommunistischen
und kapitalistischen Systemen standen. Die totalitäre Disziplinierung
der literarischen Intelligenz im Osten hatte im Westen schwächere,
aber durchaus wirkungsvolle Entsprechungen in politischen Restaurationsbewegungen,
die mit ihrem vehementen Antikommunismus jeder intellektuelle Opposition
die Unterstützung des Gegners unterstellte. In den USA symbolisierte
Joseph McCarthy als Vorsitzender der Senatsausschusses zur
Unter-suchung antiamerikanischer Umtriebe den Höhepunkt einer
von 1947 bis 1950 betriebenen Hexenjagd gegen jene, die der sympathisierenden
Verbindung zu "totalitären" Organisationen, Gruppen
oder Bewegungen verdächtigt wurden. Unter dem Eindruck dieses
antikommunistischen Gesinnungsterrors verließen etliche davon
direkt betroffene Exilautoren wie Thomas Mann und Bertolt
Brecht die USA und kehrten nach Europa zurück. Hexenjagd
hieß der Titel eines 1953 in New York uraufgeführten
Schauspiels, mit dem Arthur Miller diese Vorgänge wirkungsvoll
kritisierte und das durch die französische Verfilmung (Sartre
schrieb das Drehbuch) noch mehr Publizität erlangte. Fast ein
Jahrzehnt später legte Heinar Kipphardt seinem Dokumentarstück
In der Sache J. Robert Oppenheimer das Verfahren gegen den amerikanischen
Atomphysiker als Quelle zugrunde, der sich, anders als sein Gegenspieler
Teller, seiner moralischen Verantwortung als Wissenschaftler bewußt
ist.
Der Typus des linksliberalen Intellektuellen, der in der Literatur
nach 1945 bis zum Zusammenbruch der sozialistischen Systeme Ende
der achtziger Jahre den Ton angab, befand sich in dieser Konstellation
in einer vielfach prekären Stellung zwischen den politischen
und ideologischen Fronten des Kalten Krieges. Trieb er die Kritik
an den totalitären Strukturen des kommunistischen Systems so
weit wie jene "Renegaten", die wie Arthur Koestler
(Sonnenfinsternis, 1940) oder Manès Sperber (Wie eine
Träne im Ozean, 1950-55) in spektakulären Publikationen
über ihren Weg zum Kommunismus und ihre desillusionierte Abkehr
von ihm berichtet hatten, mußte er fürchten, von den
restaurativen Kräften der Nachkriegszeit mißbraucht zu
werden. George Orwell war dafür ein Beispiel. Seine
antistalinistische Satire Farm der Tiere (1945), die vom Umschlag
der Revolution in ihr Gegenteil erzählt, richtete sich mit
den Mitteln der Tierfabel gegen "die Korruption der ursprünglichen
Idee des Sozialismus", um so die "Wiederbelebung der sozialistischen
Bewegung" zu ermöglichen. Ihr folgte 1949 der Roman 1984,
der die negative Utopie einer totalitären Gesellschaft ausmalte.
(Thomas Anz)